Technische Medien
Unterpunkt zu: Medientheorien: Übersicht
Für die Bezeichnung ‘technische Medien’, die seit den 1980er Jahren nicht nur im medienwissenschaftlichen Feld verbreitet ist, lässt sich kaum eine konsistente Verwendungsweise und kein streng abzugrenzendes Bezugsfeld feststellen. Was technische Medien sind oder auch nur, was in den einschlägigen Debatten damit gemeint ist, kann schwerlich auf einen Nenner gebracht werden, zu unterschiedlich sind die Abgrenzungen und zu vage vor allem das Gegenstandsfeld. Zwar schreibt Friedrich Kittler, auf den die Verwendung maßgeblich zurückgeht, dass technische Medien
Doch stellt sich diese Definition weder als verbindlich dar, noch ist damit ein kohärentes Gegenstandsfeld umrissen. Da der Begriff entsprechend kaum über eine Definition zu fassen sein wird, bietet es sich für eine Annäherung an, nach seiner Funktion innerhalb der Mediendebatte zu fragen. Dabei lassen sich im wesentlichen drei Aspekte unterscheiden, die am Ende um die bildphilosophische Relevanz des Themas ergänzt werden.
Historischer Bruch und AbgrenzungDie Verwendung des Begriffs ist vor allem im Gefolge technikorientierter Medientheorien aufgekommen, wie sie Friedrich Kittler seit Mitte der 1980er Jahre vertritt und die von zahlreichen Arbeiten aufgenommen wurde ([Kittler 1986a]Kittler, Friedrich (1986): Grammophon, Film, Typewriter. Brinkmann & Bose, Berlin. Der Begriff »technische Medien« wird dabei mitunter affirmativ von der Technizität her gedacht und hat zunächst die Funktion, mittels der Situierung eines historischen Bruches technische von anderen Medien abzugrenzen. Dieser Bruch wird grob im 19. Jahrhundert, durchaus parallel zur industriellen Revolution verortet ([Stiegler 2009a]Stiegler, Bernard (2009): Technics and Time 2. Disorientation. Stanford University Press, Stanford. Mit diesem medienhistorischen Bruch oder vielmehr einer Vielzahl kleinerer Brüche wird eine Zäsur zwischen technischer und vortechnischer Welt markiert, die ein Beschreibungspotential aktiviert, weil Computer oder technische Zeitachsenmanipulation ([Krämer 2004a]Krämer, Sybille (2004): Friedrich Kittler – Kulturtechniken der Zeitachsenmanipulation. In: Lagaay, A. (Hg.), Medientheorien. Eine philosophische Einführung. Campus, Frankfurt/M. Technische Medien werden entsprechend dadurch charakterisiert, dass sie die grundlegende Differenz zwischen der Übertragung von Signalen und den Zeichenoberflächen, also die technischen Operationen hinter den Erscheinungen ihrer Interfaces verbergen. Sie sind nicht einfach Träger von Information, sondern konstituieren die Bedingung ihrer Möglichkeit und Verteilung. Anstatt die Inhalte von Medien zu fokussieren, die als ephemere Erscheinungen gelten, richtet sich die Blickwendung auf die technischen Verfahren, Materialitäten und Standards dahinter, bevorzugt auch in das Innere der Maschinen ([Ernst et al. 2003a]Ernst, Wolfgang et al. (Hg.) (2003): Suchbilder. Visuelle Kultur zwischen Algorithmen und Archiven. Kulturverlag Kadmos, Berlin.
Universalmedium ComputerDamit ist ein Hinweis auf die zweite Funktion gegeben. Der Bruch gegenüber älteren Medien wie dem Buch oder dem Gemälde dient auch der Selbstsituierung, wird doch das Entfaltungspotential von Medien besonders in der Technik gesucht und ihr ein teleologisches Potential zugesprochen. Vor allem in den vom Internet euphorisierten 1990er Jahren lassen viele Medientheorien die Mediengeschichte auf den Computer zulaufen, der als technisches Universalmedium alle anderen Medien in sich aufnehmen soll. Mit dem Computer konvergieren die Anwendungen in einem technischen Gerät, das nunmehr verschiedene Aufgaben übernimmt und mittels des digitalen Codes schlicht alles umwandeln soll. Diese Konvergenz ist häufig als Aufhebung und gleichsam teleologisches Ziel der Medienentwicklung beschrieben und entsprechend aufgeladen worden ([Mersch 2003b]Mersch, Dieter (2003): Technikapriori und Begründungsdefizit. Medienphilosophien zwischen uneingelöstem Anspruch und theoretischer Neufundierung. Philosophische Rundschau, 50.
Blickwendung zur Technik als MediumDer Begriff dient schließlich drittens der Reformulierung eines Blickwechsels, der Medienwissenschaft insgesamt prägt, des Blickwechsels weg von den Inhalten und hin auf die Medien, die diese Inhalte vermitteln, in irgendeiner Weise prägen oder bedingen. So hat Sybille Krämer drei Konzepte als „Knotenpunkte“ in der Mediendebatte verortet: literarische Medien, technische Medien und Massenmedien. Technische Medien werden dabei durch die Technisierung von Information mittels Artefakten gekennzeichnet und im weiteren die Technisierung von Wahrnehmungsoptionen und Kommunikationsvorgängen beschrieben. In dieser Hinsicht hat Krämer unterstrichen, dass die Untersuchung technischer Medien über die instrumentelle Dimension von »Mitteln für etwas« hinaus als »Mittler von etwas« beschreibt. Technische Medien sollen dahingehend nicht als Werkzeuge betrachtet werden, mit denen sich eine bestimmte Arbeit verrichten lässt, sondern als Apparate der Welterzeugung: als Verarbeitungs- oder Verteilungsweisen und schließlich als Erzeuger von Bildern, die es vorher nicht gab. Diese Überlegungen schließen durchaus an den antiken techné-Begriff an, der nicht im Werkzeug aufgeht. Technische Medien allein mit der Unterscheidung von Zwecken und Mitteln zu beschreiben bleibt demnach unterkomplex, wobei zu fragen ist, was nicht-technische Medien sein sollen, die von der Bezeichnung ‘technische Medien’ vorausgesetzt werden. In dieser Hinsicht hat Gerhard Gamm betont, dass sich Technik allen Versuchen widersetze, auf eine instrumentelle Funktion reduziert zu werden. Vielmehr müsse Technik als Medium gedacht werden, womit die Perspektive noch einmal verschoben würde ([Gamm 2000a]Gamm, Gerhard (2000): Nicht nichts. Studien zu einer Semantik des Unbestimmten. Suhrkamp, Frankfurt/M. Die technische Infrastrukturen, die etwa Bilder übertragen oder überhaupt erst hervorbringen, sollen nicht als schlichte Träger konzeptualisiert werden, die Inhalte störungsfrei transportieren. Medien gewinnen stattdessen
Krämer betont jedoch, dass die Unterscheidung in »Werkzeuge« und »Apparate« nicht ontologisch als Aufteilung aller Geräte gemeint sei, sondern Verwendungsweisen betreffe: Apparate können demnach als Werkzeuge und Werkzeuge als Apparate benutzt werden. In dieser Hinsicht machen also funktionale Zuschreibungen etwas zum Medium und erfassen es über die Zweckdienlichkeit eines Werkzeugs hinaus in Hinblick auf seine Eigenleistung ([Vogl 2001a]Vogl, Joseph (2001): Medien-Werden. Galileis Fernrohr. Archiv für Mediengeschichte, 1. So ist über die Betonung eines Bruches hinaus, der technische Medien situiert, Technik selbst als Medium und die technische Verfasstheit jedes Vermittlungsgeschehens untersucht worden. Der Begriff der Kulturtechniken beschreibt in dieser Hinsicht heterogene Anordnungen technischer, sozialer und kultureller Konzepte, die über die klassischen Kulturtechniken »Lesen«, »Schreiben« und »Rechnen« hinaus auch operative Verfahren wie »Zeichnen« oder »Messen« sowie Ordnungssysteme wie »Kataloge« oder »Suchmaschinen« umfassen. Wird Technik in diesem Sinne nicht von bestimmten Apparaten, Verfahren oder einem historischen Bruch her definiert, kann sie vielmehr als Perspektive dienen, den Umgang oder die Welterzeugung durch technische Artefakte und deren Bedingungs- oder Möglichkeitsräume zu beschreiben.
Bildphilosophische AspekteIn Hinsicht auf die Herstellung und massenhafte Verbreitung von technischen Bildern, die mit technischen Medien einsetzen soll ([Kittler 2002b]Kittler, Friedrich (2002): Optische Medien. Berliner Vorlesung 1999. Merve, Berlin.
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Anmerkungen
Literatur
[Bredekamp et al. 2008a]Bredekamp, Horst; Schneider, Birgit & Dünkel, Vera (2008): Das Technische Bild. Kompendium zu einer Stilgeschichte wissenschaftlicher Bilder. Akademie, Berlin.[Coy 1997a]Coy, Wolfgang; Tholen, Georg Christoph & Warnke, Martin (1997): Hyperkult. Stroemfeld, Basel.[Engell 1999a]Engell, Lorenz & Vogl, Joseph (1999): Vorwort. In: Pias, Claus et. al. (Hg.), Kursbuch Medienphilosophie. DVA, Stuttgart.[Ernst et al. 2003a]Ernst, Wolfgang et al. (Hg.) (2003): Suchbilder. Visuelle Kultur zwischen Algorithmen und Archiven. Kulturverlag Kadmos, Berlin.[Flusser 1983a]Flusser, Vilém (1983): Für eine Philosophie der Fotografie. European Photography, Göttingen.[Gamm 2000a]Gamm, Gerhard (2000): Nicht nichts. Studien zu einer Semantik des Unbestimmten. Suhrkamp, Frankfurt/M.[Kittler 1986a]Kittler, Friedrich (1986): Grammophon, Film, Typewriter. Brinkmann & Bose, Berlin.[Kittler 1989a]Kittler, Friedrich & Tholen, Georg Christoph (1989): Arsenale der Seele. Literatur- und Medienanalyse seit 1870. Fink, München.[Kittler 1993a]Kittler, Friedrich (1993): Geschichte der Kommunikationsmedien. In: Huber, J. & Müller, A. (Hg.), Raum und Verfahren. Stroemfeld, Basel.[Kittler 2002b]Kittler, Friedrich (2002): Optische Medien. Berliner Vorlesung 1999. Merve, Berlin.[Krämer 2004a]Krämer, Sybille (2004): Friedrich Kittler – Kulturtechniken der Zeitachsenmanipulation. In: Lagaay, A. (Hg.), Medientheorien. Eine philosophische Einführung. Campus, Frankfurt/M.[McLuhan 1964a]McLuhan, Marshall (1964): Understanding Media. The Extensions of Man. Mentor, New York.[Mersch 2003b]Mersch, Dieter (2003): Technikapriori und Begründungsdefizit. Medienphilosophien zwischen uneingelöstem Anspruch und theoretischer Neufundierung. Philosophische Rundschau, 50.[Pias 2004a]Pias, Claus (2004): Zukünfte des Computers. Diaphanes, Berlin.[Rieger 2001a]Rieger, Stefan (2001): Die Individualität der Medien. Suhrkamp, Frankfurt/M.[Schröter 2009c]Schröter, Jens (2009): 3D. Zur Theorie, Geschichte und Medienästhetik des technischtransplanen Bildes. Fink, München.[Siegert 2003a]Siegert, Bernhard (2003): Passage des Digitalen. Zeichenpraktiken der neuzeitlichen Wissenschaften 1500 - 1900. Brinkmann & Bose, Berlin.[Stiegler 2009a]Stiegler, Bernard (2009): Technics and Time 2. Disorientation. Stanford University Press, Stanford.[Vogl 2001a]Vogl, Joseph (2001): Medien-Werden. Galileis Fernrohr. Archiv für Mediengeschichte, 1.[Winthrop-Young 2005a]Winthroph-Young, Geoffrey (2005): Friedrich Kittler zur Einführung. Junius, Hamburg. Ausgabe 1: 2013 Verantwortlich: Lektorat: Seitenbearbeitungen durch: Joerg R.J. Schirra, Florian Sprenger und Marcel Lemmes — (Hinweis) Zitierhinweis: |